Es ist 18 Uhr und ich denke gerade sehnsüchtig an mein Feierabendbier, als ausgerechnet Manni zusteigt. In der Straßenbahn habe ich ihn noch nie getroffen. Und wenn ich näher darüber nachdenke, habe ich ihn auch noch nie ohne ein Bier gesehen. Wahrscheinlich hat er den Wagen stehen gelassen, um sich das eine oder andere Glas Hopfenkaltschale zu genehmigen.
Ich überlege noch, ob ich ihn sofort oder erst beim Aussteigen ansprechen soll, da nimmt er mir die Entscheidung ab und stürmt auf mich zu.
„Wat machst du denn hier?!“, ruft er und setzt sich neben mich. Bevor ich auch nur daran denken kann, zu antworten, quasselt er schon direkt weiter.
„Man, hab dich ja fast übersehen bei den ganzen Schwarzfüßen hier. Deswegen fahr ich nich‘ so gerne Bus und Bahn, da bisse immer der einzige Deutsche, wah ey. Wetten, dat hier außer uns beiden keiner so richtig Deutsch spricht? Aber jetzt siehste ma‘ wenigstens, wat ich immer meine, wenn ich dir vonne Massenmigration und der Umvolkung erzähle! Da bisse fremd im eigenen Land!“
Ich sehe mich erst mal in Ruhe um.
Manni hat tatsächlich Recht: Wir sind die einzigen in der Bahn, deren Hautfarbe man am Besten mit dem Adjektiv käsig beschreiben kann. Wie sich das für Bergmannssprößlinge (oder für Bürohengste wie mich) eben gehört.
Frauen mit Kinderwagen und Kopftuch, dunkelhäutige Halbstarke und der eine oder andere mutmaßliche Südländer sitzen in meiner Sichtweite.
Gerade im Büro sah das anders aus: Da sind unter hundert Mitarbeitern nur zwei Frauen und ein einziger Mann dabei, die nicht in die Kategorie Bleichgesicht fallen. Interessante Beobachtung, denke ich. Die fühlen sich im Büro vmöglicherweise genauso wie Manni in der Bahn: „Man, hier sieht ja keiner aus wie ich!“, denken sie vielleicht. Und warum sieht man im Büro so wenig Menschen mit Migrationshintergrund? Warum leben so viele „Ausländer“ in Marxloh, Rotthausen oder Altenessen, dass Stammtischkrakäkeler wie Manni anfangen, vom Umvolkung zu faseln? Vermutlich, weil es immer noch schwer ist, mit nichtdeutschem Namen einen guten Job und eine Wohnung in einer vernünftigen Gegend zu bekommen. Und weil man immer noch unter den Bleichgesichtern hervorsticht. Heute vielleicht mehr als früher. Ich werde das vielleicht nie ganz nachvollziehen können, aber wenn ich mir vorstelle, als südländischer Typ bei Manni ein Vorstellungsgespräch zu haben oder eine Wohnung mieten zu wollen, wird mir etwas mulmig. Apropos Manni, da war doch noch was…
„Tschuldigung, was hast du gesagt?“ „Nur Ausländer hier!“
„Manni, ich bewundere deine Fähigkeiten!“ „Wat is?!“, ruft Manni und ihm fällt alles aus dem Gesicht, „du gibst mir Recht? Dat ich dat noch erleben darf! Aus dem Gutmenschen kann noch wat werden! Hab‘ ich doch noch einen guten Einfluss auf dich, wah Junge? Ich spendier‘ dir gleich ma‘ n Bier und…“
„Ja, Manni, ich hätte jetzt nicht direkt allen Leuten hier ihre Staatsbürgerschaft angesehen. Du musst ja einen Nationalitäten-Röntgenblick der ersten Klasse haben!“ „Wat hab‘ ich?“ „Einen Nationalitätenrö…“ „Jaja, aber wat soll dat sein?“ „Na, ein Blick mit dem man in die Brusttasche und durch das Portemonnaie direkt auf den Reisepass schauen kann! Ich hätte jetzt nicht sehen können, dass in der ganzen Bahn keiner einen deutschen Pass besitzt! Chapeau!“
„Ja, wat hat dat denn mit dem Pass zu tun?“ „Na, wer einen deutschen Pass hat, ist doch deutscher Staatsbürger, oder?“ „Ja, aber doch nich‘ wenn dat n Türke is‘!“ „Wenn das ein Türke ist, hat der keinen deutschen Pass, das hast du scharfsinnig erkannt! Außer er besitzt einen türkischen und einen deutschen Pass. Dann ist er ein Deutsch-Türke. Oder Türk-Deutscher, wie du willst“ „Ach, dat meinste! Hömma, ich red‘ doch nich‘ von so Passdeutschen! Ich mein richtige Deutsche! Die auch von hier sind!“ Die ersten Leute schauen verstohlen zu uns rüber.
„Ach, so einen mit Bio-Siegel auf dem Arsch?“, frage ich betont unschuldig.
„Nee, ach, verarsch mich doch nich‘! Aber weißte, dat wird sich jetzt allet ändern! Wir holen uns nämlich unser Land zurück! Wir schieben die Schwarzfüße alle ab, jawoll!“
Ich seufze innerlich auf. Ich war extra seit Sonntag nicht mehr in der Kneipe, aber manchen Diskussionen muss man sich eben früher oder später stellen. Dann besser früher. Wir halten an, ein junger Mensch asiatischen Äußeres steigt zu. Er hat mich noch nicht gesehen. Glück muss man haben.
„Also, Manni, ich weiß mal wieder nicht, wo ich anfangen soll…bleiben wir doch mal bei den Pässen. Wenn ein Asiate einen deutschen Pass hat, wäre der deiner Meinung nach trotzdem kein Deutscher?“ „Genau!“ „Und wenn er einen Pass hätte und hier geboren ist?“ „Immer noch `n Schlitzauge!“
Ich stehe auf und gehe rüber. „Entschuldigung, ich weiß, dass ist furchtbar unhöflich, aber ich möchte dem Herrn hier“, dabei zeige ich auf Manni, „gern etwas veranschaulichen! Darf ich fragen, wo Sie herkommen?“ Ein irritierter, dann belustigter Blick auf Manni.
„Ich wohn auf Schalke, aber eigentlich komm ich aus Herne!“ „Nee, wo du herkommst. Also, wo du so wirklich richtig herkommst!“, gröhlt Manni so laut, dass eine Frau ihren Kinderwagen so unauffällig wie möglich ins Nachbarabteil schiebt.
„Ich bin in Herne geboren, du Knalltüte!“ „Und wo kommen deine Eltern wech?“ Manni spricht überbetont langsam und deutlich. Es wirkt ein wenig, als würde er mit einem Schwerhörigen sprechen wollen.
„Meine Mutter ist aus Bottrop, mein Vater aus Südkorea“ „Und wie heißen Sie?“, schalte ich mich ein. „Kim. Kim…“ „Lee?“, springt Manni hilfsbereit bei. „Nein“ „Hm…Chang?“ „Nee“ „Jong Un?“ Manni wird misstrauisch. „Nee, auch nicht. Pluschinski, Kim Pluschinski“ „Dat is‘ doch kein koreanischer Name!“, wechselt Manni von misstrauisch auf vorwurfsvoll.
„Nee. Ist der Name meiner Großmutter. Die stammte aus Polen“ „Nee, wat `n Multikulti“, staunt Manni und ich sehe in seinen Augen den Wunsch nach einem Pils aufsteigen.
„Also, Manni, was machen wir nun mit Kim? Nach Polen, Korea, Bottrop oder Herne abschieben?“ Für einen Moment hoffe ich inständig, dass Kim nicht nach Bottrop muss.
„Hömma, du sprichst aber ganz schön gut Deutsch“, ignoriert mich Manni und verfällt Kim gegenüber in einen väterlichen Ton. „Wenn du jetzt noch n Job hast, darfste gerne bleiben. Dat is‘ ja vorbildlich“ Ein richtiger Gönner, unser Manni. „Und mit dem Islam hasse bestimmt auch nix am Hut, oder?“ „Nein, aber meine Frau“ „Wat?“ Manni ist total verblüfft. „Aber…dat is‘ ja ungewöhnlich. Die is‘ Moslem? Und `ne Frau? Und dat als Asiatin?“ „Als Deutsche!“ „Aber die is` bestimmt keine echte Deutsche, wah“ „Die ist so Deutsch wie ich. Aber ihren Eltern haben einen Doppelpass. Die sind aus der Türkei eingewandert“ „Mhm, na ja, aber `n Job haste nicht?“ „Meine Frau und ich betreiben zusammen ein Restaurant“ „Döner-Imbiss oder so `n neumodisches Mongolenzeugs?“ „Genau genommen ist es ein Irish Pub. Ich habe ein paar Jahre in Irland gelebt und da kochen gelernt“ „Du bist ja verrückt! Und wat machste jetzt in Deutschland?“ „Hatte Heimweh. Ist hart, so lange fern der Heimat zu leben.“
Manni schweigt eine Weile betreten. Ich nutz die Gelegenheit aus und beschließe, ihm den Rest zu geben.
„Siehste, deswegen ist deine wunderbare Partei rassistisch!“ „War ja klar, dat du wieder mit der Nazikeule…“ „Nix Nazikeule, Kumpel. Du siehst jetzt an diesem Beispiel, dass eure tolle Idee vom Volk nach Herkunft und Blut nicht funktioniert. Das wird man doch noch mal sagen dürfen, was?“ (Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet!) „Oder würdest du Kim ausweisen, weil ihr Vater Koreaner ist?“ „Nee, dat jetzt nich‘ direkt. Aber…“ „Oder ihre Frau? In Anatolien entsorgen, wie dein geliebter Gauleiter das gerne machen würde?“ „Ne, es geht ja nur darum, dass die richtigen Ausländer draußen bleiben!“ „Aha, jetzt wird es spannend. Kim ist also keine richtige Ausländerin?“ „Nee, also…“ „Gut. Aber du hast vorhin gesagt, dass sie auch keine richtige Deutsche ist, oder?“ „Schon. Ja. Aber…“ „Ja was denn nun?“ „Jetzt kenn ich sie ja!“ „Genau. Und wenn du mit jedem einzelnen hier in der Bahn sprechen würdest, würdest du die auch kennen. Und ich wette, dass ganz viele hier geboren sind, obwohl sie nicht wie Arier aussehen. Und die fühlen sich wegen Menschen wie dir in ihrer eigenen Heimat nicht willkommen“ „Wat heißt denn Menschen wie ich, sag mal? Werd ma‘ nich` beleidigend!“ „Entschuldige, ich drück mich mal deutlicher aus: Wegen rassistischen Arschlöchern wie dir!“ „Ich bin doch kein Rassist! Ich will doch nur, dat Deutschland auch deutsch bleibt! Dat is‘ doch wohl normal!“ „Die Frage ist nicht, ob Deutschland deutsch bleibt, sondern ob Deutschland menschlich bleibt, du Knallkopp! Deine Partei ist rassistisch, weil sie aus Menschen Deutsche und Ausländer macht. Und sie faschistisch, weil sie sich einbildet, mit 12% für das Volk zu sprechen und jeden jagen zu wollen, der ihr widerspricht!“ „Dat klingt aber hart, wenn du dat so sagst…“ „Und ich bin noch nicht fertig. Merk dir mal eines: Demokraten sprechen nicht von Volksgenossen, sondern von Bürgern. Und eine vernünftige Behandlung hat jeder verdient, egal ob Bürger dieses Staates oder nicht. Wir sind alles Menschen, Manni. Sogar du. Oder steht in deiner Fassung des Grundgesetzes Die Würde des Deutschen ist unantastbar?“
„Ja, aber du siehst doch selbst, dat hier nur noch Schwarz…Ausländer rumlaufen! Da bin ich doch die Minderheit! Die muss doch auch geschützt werden!“ Bei der Vorstellung, das Typen wie Manni eine Minderheit sind, wird mir ganz warm ums Herz. Ich kann mir, so denke ich, ein wenig Versöhnlichkeit leisten.
„Manni, du bist ja vieles, aber doch kein richtiger, echter Drecksack“ „Ja, danke auch!“ „Na, schau mal, ich weiss dass du niemandem Armut vorwerfen würdest, oder?“ „Nee, würd ich nich‘! Nie nich‘!“ „Siehst du, dann mach das doch auch nicht bei unseren Mitmenschen in der Bahn. Nehmen wir mal an, außer dir und Kim und mir wäre wirklich kein Deutscher mehr in der Bahn, sondern nur noch Flüchtende. Meinst du, die könnten sich ein Auto leisten?“ „Nee, vermutlich nich‘“, gibt Manni etwas kleinlaut zu. „Findest du, die sollten ein eigenes Abteil kriegen, damit du Volksdeutscher dich nicht belästigt fühlst? Oder sollten die gar laufen? Nur weil du Menschen anderer Hautfarbe die Luft zum Atmen nicht gönnst?“ „Nee, natürlich nich‘“ „Dann mach doch nicht so ein Theater darum. Selbst wenn du der einzige Deutsche in der Bahn wärest. Was soll es? Dir nimmt keiner dein Recht auf eine Bahnfahrt weg, oder? Konzentrier dich doch nicht immer auf das, was an den Menschen anders ist! Denk doch mal daran, was ihr vielleicht gemeinsam habt!“
„Genau“, schaltet sich Kim ein. „Spalten und die Menschen in „Die und wir“ einteilen hilft doch am Ende niemandem weiter, oder? Kommt gleich mit, ich gebe ein Bier aus“ „Hömma, dat is‘ ja echt `n Ding, dat wir genau dich angesprochen haben. Du bist ja eigentlich ganz nett, wah.“
(Und ich sende ein Stoßgebet ins All, dass Manni nie erfahren wird, dass ich Kim gezielt angesprochen habe. Als Freund irischer Landküche bin ich nämlich Stammgast in ihrem Restaurant und kenne sie schon eine ganze Weile.)
„Und wat ha`m wir nun gemeinsam?“, fragt Manni.
„Ich nehme an, dass jeder von uns jetzt Bock auf ein Bier hat, das ist doch mal ein Anfang, oder?“
„Endstation! Ausstieg in Fahrrrtrrrichtung rrrrechts, alle rrraus hierrr!“, dröhnt es aus den Lautsprechern und wir drei rufen zeitgleich „Scheiße!“. Wir haben unsere Haltestelle verpasst.
„Wir sind in Buer!“, ruft Manni ganz entsetzt. „Wat wollen wir denn in Buer? Wat soll ich denn im Nobelviertel? Hier kost‘ dat Bier doch sicher 1,90 dat kleine Glas!“ „Buer ist besser als Herne“, kontert Kim. „Sag mal, wo kommst du eigentlich weg?“, fragt sie mich beiläufig. „Also, so wirklich richtig?“ „Vonne Maloche“, sag ich. „Und ich bin so durstig davon, dass ich sogar in Buer ein Bier trinken würde!“
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