Tagespolitische Themen werden da diskutiert, wo die Wahrheit noch gesagt werden darf: Am Stammtisch. Für Deine SPD schreibe ich, was in Deutschlands Kneipen wirklich bequatscht wird. Warnung: Selten ernst gemeint.
„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“, höhnt mir Manni entgegen, noch bevor ich so richtig in der Kneipe angekommen bin. Ich schau ihn kurz an, dann hänge ich meine Jacke über den Barhocker und bestell ein Pils.
„Ja, da sagste lieber nix mehr, ne? Haste dein Parteibuch schon zurückgegeben?“ Ich nipp’ am Pils.
„Helga“, sag ich zur Bedienung, „dat is’ ganz komisch.“
„Wat is? Dat Fass ist frisch dran, zu viel Kohlensäure?“
„Dat mein ich nich’. Es ist nur: Ich höre Stimmen. Mir ist, als hätte Manni mich gerade angestänkert. Aber dat würde der doch nie tun…“ Helga grinst uns an und stellt mir einen Korn auf den Tisch. „Aufs Haus. Ich kenn euch doch…“
Lange hält Manni das Schweigen nicht aus.
„Siehste! Jetzt hab ich dich dran! Ihr Sozis seid doch alles Verräterschweine! Ihr habt die Arbeiterklasse verraten!“
„Manni, wovon redest du?“ „Vom Tarifeinheitsgesetz! Oder haste dat nicht mitbekommen?“ Er starrt mich verblüfft an.
„Schon. Aber wat is daran nun der Verrat?“
„Ja, ihr nehmt den Gewerkschaften dat Recht zu streiken weg! Schämt euch! Und ihr nennt euch Arbeiterpartei!“
„Wieso nehmen wir den Gewerkschaften dat Recht zu streiken weg?“ „Steht doch in dem Gesetz! Kleine Gewerkschaften dürfen jetzt nicht mehr streiken! Die GdL zum Beispiel!“
Ich ex den Korn.
„Die dürfen wohl streiken, Manni. Dat is Unsinn.“
„Dat is aber gegen dat Grundgesetz! Artikel neun! Ja, da guckste!“ „Artikel neun sagt nur, dass die Bürger sich zu Vereinigungen zusammen tun dürfen und schützt die Gewerkschaften nochmal im Besonderen. Wo ist da jetzt der Widerspruch?“ „Ja, die Koalitionsfreiheit ist jetzt eingeschränkt!“ „Wieso dat? Du darfst doch nach wie vor wählen, in welche Gewerkschaft du eintrittst und in welche nicht. Oder ob du deine eigene gründest.“
„Aber wat bringt dat denn, wenn die gar nicht mit dem Arbeitgeber verhandeln dürfen?“ „Dürfen sie doch. Sie müssen sich vorher aber mit den anderen Gewerkschaften einigen.“
„Siehste! Also habt ihr die kleinen Gewerkschaften entmachtet, ihr Verräter!“
„Nein, die SPD hat nur traditionelle, sozialdemokratische Politik umgesetzt. Tarifeinheit heißt nur: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Das gibt’s seit über fünfzig Jahren und die Gewerkschaften waren dafür.“
„Verarsch mich doch nicht!“
„Klar. Die Tarifeinheit gab’s in der BRD immer schon. Die wurde nur 2010 vom Bundesarbeitsgericht gekippt, weil es keine Gesetzesgrundlage dafür gibt. Die Lücke hat die SPD jetzt geschlossen. Oder findest du das etwas fair, dat ein Lokführer weniger verdient, weil er in der EVG ist und nicht in der GdL?“
Manni geht eine rauchen. Ich bestell ‘ne Runde.
„Ihr wollt die Gewerkschaften also spalten!“, faucht Manni, als er wiederkommt.
„Wieso dat denn?“ „Die machen sich doch jetzt Konkurrenz um die Mitglieder!“ „Nee, im Gegenteil. Die Konkurrenz unter den Gewerkschaften ist durch dat Gesetz ausgehebelt. Dat war ja Sinn der Sache.“
„Aber es macht doch keinen Sinn mehr, in eine kleine Gewerkschaft zu gehen!“ „Doch, schon. Die Tarifeinheit gilt ja nur da, wo es einen Tarifkonflikt gibt.“ „Wat heißt dat denn?“ „Nimm die Bahn: Wenn die EVG und die GdL einen Vertrag aushandeln, gilt der Vertrag mit der Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder hat.“ „Dat is’ aber doch die EVG!“ „Nicht unbedingt. Die Bahn besteht aus 300 Betrieben. In einigen gibt’s mehr GdL-Mitglieder. Da gibt es also keine Konkurrenz mehr, aber beide Gewerkschaften existieren weiterhin. Das Gesetz schafft einfach eine klare Lösungen für einen Spezialfall.“
„Und die Arbeitnehmer können nicht mehr in die Gewerkschaft wechseln, die den besseren Tarif ausgehandelt hat! Dat is doch scheiße!“
Ich leere Pils und Korn. Noch ‘ne Runde.
„Manni, wat is’ denn eine Gewerkschaft?“ „Wat ‘ne doofe Frage. Die Arbeitnehmervertretung!“ „Jo, und aus wem besteht die?“ „Aus Arbeitnehmern natürlich!“ „Ja, siehste. Die Gewerkschaften sind Solidargemeinschaften und keine Vermittlungsagenturen. Einer allein kann schlecht einen höheren Lohn aushandeln. Alle zusammen dagegen schon. Je mehr Einigkeit desto besser. Wenn aber die Arbeitnehmer alle zwei Jahre die Gewerkschaft wechseln wie den Stromanbieter, dann is dat schlecht für die Einigkeit und die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften!“
„Aber gut für die Arbeitnehmer!“ „Kurzfristig vielleicht. Auf lange Sicht brauchen Arbeitnehmer aber starke Gewerkschaften. Wenn die sich untereinander bekämpfen, hilft dat nur den Arbeitgebern.“
Manni gibt ‘ne Runde aus. „So gesehen haste schon irgendwie Recht. Aber mir gefällt trotzdem nicht, dass die kleinen Gewerkschaften dazu gezwungen werden! Dat is’ doch total undemokratisch!“
„Na ja, eigentlich zwingt das die Gewerkschaften zu mehr Demokratie: Die Konkurrenz hatten wir ja bisher. Die GdL kämpft gegen die EVG um das Recht, für alle Mitarbeiter verhandeln zu dürfen. Dat is’ jetzt hinfällig. Statt sich also weiter zu bekämpfen, ist es viel sinnvoller, wenn die Gewerkschaften sich vor einem Streik einigen und gemeinsam streiken. Dat erhöht die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Und dat war jahrzehntelang so üblich!“
Helga stellt uns noch eine Runde hin.
„Hauptsache, die Helga streikt nicht.“, sagt Manni versöhnlich. Helga schmunzelt. „Dat kommt drauf an, wie viel Trinkgeld ihr mir da lasst.“
Die ganze Reihe: „Wat is?!“