Ich beschließe, Hipster zu werden.
Tag 1 Werfe meinen Rasierer in den Müll.
Tag 2 Stelle fest, dass Hipster extrem konsumkritisch sind. Daher schwöre ich meinen unreflektierten Mainstreamgewohnheiten ab und gehe in den iStore, das neue iPhone 6 muss her.
Tag 3 Stelle fest, dass Konsumkritik scheiße teuer ist. Statt eines iPhones habe ich mir eine Biotomate gegönnt.
Tag 4 Hipster sind nicht nur konsumkritisch, sondern auch individuell. Deswegen tragen sie alle Hungerhakenhosen in weinrot, kotzgrün oder durchfallgelb. Ich gehe mir ein paar neue Klamotten kaufen.
Tag 5 Beginne eine Diät. Will in zwei Jahren in Röhrenjeans passen, ohne wie eine Kackwurst in einer Biomülltüte auszusehen. Um mich aufzumuntern, gehe ich in eine Szene-Kneipe, neue Hipster-Freunde finden.
Tag 6 Weiß nun, dass ich noch nicht individuell genug für die Hipster-Szene bin. Habe gestern eine Bionade für 4,50 Euro gesoffen und den anderen Hipstern dabei zugesehen, wie sie Selfies machen und auf ihren iPhones daddeln. Im Hintergrund läuft etwas, dass ich nach einer halben Flasche Absinth vielleicht für Rock durchgehen lasse. Niemand redet, alle starren auf ihre Telefone. Nur ab und zu dreht sich mal einer zum Nachbarn und sagt etwas wie: „Da war ich schon auf dem Konzert, da kannte die noch keiner.“ Die Antwort geht meistens „Aber heute sind die nur noch kommerziell, Mann.“
Tag 8 Besuche meine Eltern. Mein Vater hat zum Glück noch ein paar Cordhosen aus den frühen 70er Jahren. Keine Röhre, aber immerhin durchfallgelb und definitiv unmodisch. Dazu finde ich ein paar Holzfällerhemden, die wirklich niemand mehr anziehen will. O-Ton: „Wenn du Geld brauchst, mein Sohn… such dir Arbeit.“
Tag 9 Ein gutes Stichwort. Wechsle den Studiengang von Volkswirtschaftslehre zu „Irgendwas mit Medien“.
Tag 11 Erkenne, dass ein Medienmensch wie ich definitiv einen Blog haben muss.
Tag 12 Beschließe, einen Blog zu machen.
Tag 13 Denke angestrengt drüber nach, worüber ich bloggen soll. Derweil lese ich Literatur, die meine Schöngeistigkeit unterstreicht. Entwickle eine perverse Obsession für Franz Kafka.
Tag 14 Ich blogge über Franz Kafka.
Tag 15 Franz Kafka interessiert keine Sau. Scheinbar bin ich auf einem guten Weg.
Tag 18 Bestandsaufnahme: Der Haarwuchs wuchert. Sehe aus, als wäre ich drei Wochen im Dschungel gewesen. Meine Achselbehaarung schaut schelmisch unter meinen T- Shirt-Ärmeln hervor. Im Intimbereich kann ich mir einen Zopf flechten. Rapunzel ist ein Scheiß dagegen. Und da habt ihr meine Arschhaare noch nicht gesehen.
Tag 19 Sitze im Park. Ein alter Knacker kommt auf mich zu und wirft mir einen Euro in die Mütze.
Tag 23 Weiß endlich, worüber ich bloggen soll. Führe Tagebuch über mein Hipsterleben und poste jeden Tag einen Selfie. Unterlegt mit einem Kafka-Zitat.
Tag 24 Es muss immer noch mehr Individualität her. Passe daher auch meine Ernährung an. Ich werde zusätzlich Veganer. Das macht ja sonst keiner.
Tag 25 In der neuen Vegan-Bar um die Ecke wird mir erklärt, dass ein Steak nicht vegan ist.
Tag 26 Gehe in den Bioladen. Stelle fest, dass Kekse nicht nur an der Tanke neun Euro kosten können. Kaufe aber glutenfreies Mineralwasser.
Tag 35 Geld ist drauf. Kaufe ein iPad. Fühle mich endlich individuell.
Tag 37 Bändige meinen Bart mit einem Haargummi. Gleiches Spiel mit den Achsel- und Arschhaaren. In der Bikinizone mag ich es etwas offener.
Tag 40 Ich entdecke ersten Filz. Zum Glück nicht im Gesicht.
Tag 42 Meine Mutter ruft an. Eine Freundin von ihr hat mich neulich im Park gesehen. Sie fragt, ob ich noch eine Wohnung habe. Als ich das bestätige, fragt sie , ob ich in letzter Zeit zum Islam konvertiert sei. Das verneine ich. „Salafismus ist mir zu trendy“, erkläre ich ihr. Besaufe mich mit Clubmate und lese Kafka. Dazu ein Tofuschnitzel. Ich brauche einen neuen Artikel für meinen Blog. Saufe noch mehr Clubmate und esse Dinkel-Hanf-Cracker, die zu fairen Preisen von afrikanischen Bauern gebacken wurden. Gehe in die Hipster-Kneipe und hole mir Anregungen. Mir ist heute allerdings mal nach guter Musik. Deswegen bitte ich den Wirt, ein wenig Deep Purple aufzulegen. Ich trinke die dritte Flasche Clubmate und denke nach, worüber ich bloggen kann. Dazu gibt es Zucchini-Chips.
Im Hintergrund gröhlt Ian Gillan gerade ein Lied über Analsex. Ein 20jähriges Milchgesicht dreht sich zu mir um: „Ich war mal auf einem Konzert von denen. Da kannte die noch keiner. Mittlerweile find ich die aber total kommerziell.“
Das ist der Punkt, an dem ich einen wilden Schrei rauslasse, in das iPad beiße und dem Typen meinen Jutebeutel in die Fresse werfe.
Der drohende Nervenzusammenbruch und die Mischung aus Clubmate und Tofu rebellieren in meiner Verdauung.
Ich laufe im Schweinsgalopp Richung Klo. Unterwegs merke ich, dass ich mich nicht mehr beeilen muss. Raus ist raus. Ein Vorteil, wenn man Dinkel frisst, Mate- Tee säuft und Hipster-Hosen trägt: Keiner merkt, wenn man sich in die Hose scheißt. Durchfallgelb ist durchfallgelb.
Wenn ihr das jetzt eklig fandet, möchte ich euch zum Schluss ein Zitat von Franz Kafka nahe legen. Ihr findet es auch auf meinem Blog. Direkt unter einem Selfie von mir in vollgeschissener Cordhose.
„Alle Leiden um uns herum müssen auch wir erleiden.“